Sergej und Sergej

Es war früh am Morgen, ich lag noch im Bett, als mein Telefon klingelte. „Hallo Marius, hier ist Sergej. Kann ich dir ein paar Fragen stellen?“ – „Ähhm, ja.“ Darauf folgten die Standartfragen, die Sergej in absurd tiefer und langsamer Stimme vortrug: Warum bist du gerade in Russland, warum gerade in Perm, was machst du hier, hast du kein Heimweh, wie hast du Russisch gelernt, wie gefällt dir Perm? Nach eineinhalb Fragen, schaltete ich mein Gehirn ein, unterbrach mich, und fragte ihn, wer er eigentlich sei und warum er das wissen wollte.

Er erklärte es mir: Er sei ein Journalist, hätte bei Anja, der Memorial- Sekretärin gefragt, ob er mit einem Freiwilligen sprechen könnte, und Anja, die jetzt nicht die sensibelste ist, was Nummern weitergeben angeht, gab meine Nummer natürlich frei heraus.

Datenschutz ist hier sowieso nicht ganz so wichtig. In Deutschland wird sich viel daraus gemacht, Handynummern oder Mailadressen weiterzugeben und Fotos zu verwenden. Außerdem sperrt die GEMA Youtube Videos, wegen so etwas wie Urheberrecht. Verrückt sagen da die Post- Sowjeten. Alles gehört allen, was soll schon so schlimm sein, Nummern weiterzugeben. Und ob Künstler an ihren Lieder verdienen ist nun wirklich nicht unsere Sache. Bei Vkontakte gibt es jedes, aber auch jedes Lied, kostenlos abrufbar, genauso wie fast jeden Film. Zurück zur Sache.

Nachdem ich seine Fragen beantwortet hatte, verabschiedete er sich. „Tschüss“ sagte ich und ließ mich wieder ins Bett fallen.

Eine halbe Stunde später rief er wieder an: „Marius, hier ist nochmal Sergej. Können wir heute was mit dir drehen? Wir müssten in deine Wohnung, dann ein paar Interviews aufnehmen und dann noch zu einem Veteranen, um mit denen zu reden und da ein bisschen was aufzunehmen.“ Mein erster Abwehrreflex: „Nee, heute geht auf keinen Fall. Morgen eigentlich auch nicht. Und danach fahre ich nach Vladimir.“ Aber Sergej gab nicht auf. Nach tausenden Telefonaten mit ihm und Anja stand der Termin fest: Morgen um 12 würde Sergej zu mir in die Wohnung kommen, hier ein bisschen drehen, dann im Park mit mir ein Interview aufnehmen, und schließlich würden wir zu einer Babuschka fahren, die ich nicht kenne, wo ich dann ein bisschen Showfensterputzen machen würde.

Auch wenn es nur ein kleiner Regionalsender war, namens Live News, nur russisch ausgesprochen, war ich verdammt aufgeregt. Erst nach einer Folge Sanft und Sorgfältig war ich müde und beruhigt genug, um einzuschlafen.

Am nächsten Morgen stand ich auf, und putzte erstmal die Wohnung. Das war lange überfällig gewesen, obwohl sie deutlich an Sauberkeit gewonnen hat, seitdem die tschechische Freiwillige Eliska eingezogen ist. Irgendwann klingelte mein Handy: „Marius, hier ist Sergej. Die erste Szene ist, wie du die Tür aufmachst.“ Ich lief durch den Flur, die Tür war bereits offen, eine alte Frau, die ich noch nie gesehen hatte, geisterte durch den Bunker und quatschte vor sich hin. Das Bild war schonmal versaut. Dann stellten sich die beiden vor. Sergej und Sergej, der eine mit der sonoren Stimme, der andere etwa so alt wie ich. Sie machten ein paar SchniBis (Schnittbilder, ich habe tatsächlich etwas von Circus Halligalli gelernt) in meiner Wohnung: Ich am Computer, ich beim Hausaufgaben machen, ich beim Schachspielen gegen Sergej. Dann fiel Sergej noch etwas ganz tolles ein: „Nimm doch mal einen Topf, fülle Wasser rein und stelle in auf den Herd.“ Das dümmste SchniBi der Welt.

Dann gingen wir raus und Sergej kündigte mir an, dass nun das Laufen käme, der wichtigste Teil: „Das Laufen ist der wichtigste Teil.“ Er lief fast bis zu meinem Supermarkt, ein Weg, der mir im Winter oft zu weit war, und stellte sich mit seiner Kamera auf. Sergej blieb in der Zeit bei mir und rauchte. Dann gab Sergej ein Zeichen und ich lief los, einmal die ganze Straße entlang. Die Menschen, die mir entgegenkamen taten so, als würden sie nichts merken, glücklicherweise. Ich lief an der Kamera vorbei, Sergej zeigte mir einen Daumen nach oben und wir kehrten zu Sergej zurück.

Dann gingen Sergej, Sergej und ich zu einem Obststand. Ich musste kameratauglich Bananen und Äpfel kaufen. Der Verkäufer machte sich furchtbar über mich lustig, auch als ich eine Woche später eine Zwiebel bei ihm kaufte.

Dann fuhren wir ins Zentrum. Als ich ins Auto einstieg fragte ich mich, ob in Perm mittlerweile auf Linksverkehr umgestellt wurde. Allerdings fuhren alle relativ rechts, das Auto hatte allerdings das Lenkrad auf der falschen Seite. Das führte dazu, dass der große dicke Fahrer ein paar Probleme mit dem Seitenabstand hatte und immer wieder gefährlich in die falsche Spur geriet. Im Auto war es totenstill.

Wir kamen in einem Park an und nahmen ein Interview auf. Der große Sergej filmte, der kleine stellte mir die Fragen. Dem schlechtesten SchniBi folgte das schlechteste Russisch, das ich seit Monaten gesprochen hatte. Ich bat die beiden, mich zu korrigieren, damit ich alles nochmal richtig sagen konnte, aber Sergej meinte, das sei schon in Ordnung, ich sei schließlich Ausländer.

Dann fuhren wir weiter zur Babuschka. Ich kannte die gute Frau nicht, sie empfing mich aber nett. Kamerareif übergab ich ihr das Obst. Sie freute sich. Nachdem ich die Fenster fertig geputzt hatte, Sergej und auch Sergej waren schon lange weg, gab sie mir die Bananen zurück und sagte, sie würde keine Bananen essen.

Ich machte ein bisschen Showfensterputzen, Sergej filmte. Anschließend wurde die Babuschka auf einen Stuhl gesetzt und musste Suggestivfragen wie „Wie toll finden Sie, dass Marius Ihnen hilft?“ oder „Hätten Sie das denn eigentlich auch alleine geschafft?“ beantworten. Sie spielte mit. Im Hintergrund putzte ich weiter Fenster.

Irgendwann waren die Dreharbeiten vorbei, ich putzte noch zu Ende und fuhr nach Hause. Abends rief mich Sergej an: „Du Marius, wir müssten nochmal was bei der Veteranin drehen, hast du morgen Zeit?“ – „Ich fahre morgen um 11 los, das schaffen wir wohl nicht mehr.“ – „Wann kommst du wieder?“ – „In einer Woche.“ – „Okay, Tschüss.“

Bis heute wurde der Betrag von Sergej und Sergej nie gesendet. Und ich hatte mich so darauf gefreut, dass eine Nachrichtensprecherin mit unangenehmer Stimme, denn das ist Einstellungskriterium für Nachrichtensprecherinnen (außerdem machen die Fernsehsender natürlich nicht den Fehler und reduzieren Nachrichtensprecherinnen auf die inneren Werte, denn auch Aussehen ist wichtig) meinen Nachnamen ausspricht.

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